Discount-Naturkosmetik: Die Konsequenz

Meine Recherche began, als ich nach knapp über einem Jahr und vielen bohrenden Emails endlich eine Nachricht von Rossmann auf ihrem Facebook-Account bekam. Ich nutzte die Möglichkeit der direkten Fragestellung unter Beobachtung hunderter Rossmann-Fans um endlich eine Antwort zu bekommen, ohne das Herauswinden seitens Rossmann. Oh ja, meine Erleichterung als endlich die ersehnte Nachricht eintrudelte war Wahnsinn. Trotzdem blieb Genaues offen, sodass ich mehrere Male nachhaken musste. Kein Problem, bin ich mittlerweile gewohnt. Doch ist deutlich geworden, dass Rossmanns Eigenmarken (davon sind nicht alle betroffen) nicht tierversuchsfrei herstellen. Genaueres dazu folgt hoffentlich auf diesem Blog, sobald mir Rossmann ein grünes Zeichen zur Veröffentlichung gibt. Ansonsten kann die Stellungnahme auch direkt bei Facebook nachgelesen werden: http://www.facebook.com/?ref=logo#!/rossmann.gmbh/posts/490027963434
Ich war sauer, ich war wirklich wütend. Weil ich Angst hatte eine Firma (Alterra) verlieren zu müssen, deren Produkte ich zum Teil besonders schätzte. Wo bekommt man schon so billiges helles Kompaktpuder, vegan und BDIH-zertifiziert… war meine erste Reaktion. Ich wollte das alles nicht mehr und mir war klar, ich müsse auf was anderes umsteigen. Durch einige Umwege und mein Interesse an Nachforschungen stieß ich auf einige nennenswerte Informationen im Internet, die ich euch nicht vorenthalten möchte. Wir wissen mittlerweile alle, dass es müßig ist im Zeitalter des Profits auf genügend Transparenz zu hoffen. –  Lest nicht weiter, wenn ihr den gesamten Wust gar nicht wissen wollt. Ich würde mich aber natürlich dennoch freuen in euch einen Diskussionspartner diesbezüglich zu finden.

Wer produziert für die Drogerie- und Supermarktketten eigentlich diese total billigen Naturkosmetikprodukte?

Alterra (Vertrieb: Dirk Rossmann GmbH), Alverde (Vertrieb: DM Drogeriemarkt) und einige andere günstige Naturkosmetikmarken gehören zur CEP Cosmetic Herstellungs- und Produktions GmbH, welche vor 2007 noch zur Logocos Unternehmensgruppe gehörte. Logocos stellte unter CEP für andere Händler Naturkosmetik her und vertreibt zusätzlich unter ihrem eigenen Label noch eigene Naturkosmetikmarken, wie zum Beispiel Logona, Santé und Neobio. Im Jahr 2007 verkaufte Logocos ihre Tochter CEP an die DALLI-WERKE GmbH & Co. KG, welche sich unter Anderem auf das Produzieren von Handelsmarken spezialisiert haben. Logocos gab die Tochter CEP aus Kapazitätsgründen ab.

Wer steckt hinter der DALLI-WERKE GmbH & Co. KG?

Die Dalli-Werke wurden 1845 in Stolberg (Deutschland, NRW) von Andreas August Wirtz gegründet und sind noch bis heute, unter der Leitung von Hermann Wirtz, ein Familienunternehmen. Die Familie Wirtz gründete außerdem das eigenständige Unternehmen Mäurer & Wirtz, welches neben eigenen Parfummarken auch Parfumhandelsmarken herstellt, und 1946 die Firma Grünenthal GmbH. Vielleicht klingelt es nach dem letzten Namen bereits bei einigen. Die Grünenthal GmbH ist ein Pharmazeutik- und Forschungsunternehmen. Durch das Skandal-Schlafmittel Contergan gelangten sie in den Sechzigern zur Bekanntheit. Die Dalli-Werke, Grünenthal und Mäurer & Wirtz beschäftigen ca. 7500 Mitarbeiter.

Warum wurde aus dem Schlafmittel Contergan ein haarsträubender Skandal und was hat das mit heute zutun?

Das 1957 herausgebrachte Schlafmittel Contergan führte bei 5000 Kindern (andere Quellen berichten von 10000 weltweit) zu schweren Missbildungen; 2500 von ihnen verstarben. Die schädlichen Nebenwirkungen waren auf den Wirkstoff Thalidomid zurückzuführen.

Zitat: „In der damaligen Testphase in den USA wurden mehrere Dutzend Kinder mit Behinderungen geboren, obwohl die Markteinführung dort durch die Initiative der FDA-Pharmakologin Frances Oldham Kelsey bis nach Entdeckung der Schädlichkeit verzögert und damit vereitelt wurde.“
Zitat: „Am 10. April 1970 schlossen die Eltern der Geschädigten durch den Nebenklagevertreter, Rupert Schreiber, mit Grünenthal einen Vergleich und verzichteten auf Schadensersatzansprüche in Milliardenhöhe gegen einen Entschädigungsbetrag von 100 Millionen Deutsche Mark, den die Firma Grünenthal in die Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ einzahlte. Die betroffenen Eltern der geschädigten Kinder unterzeichneten eine Erklärung, in der sie beteuerten, nicht mehr weiter gegen die Firma Grünenthal Chemie zu klagen. Am 283. Verhandlungstag, dem 18. Dezember 1970, wurde das Strafverfahren wegen geringfügiger Schuld der Angeklagten und mangelnden öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung nach § 153 StPO eingestellt. Bis heute ist die Firma Grünenthal nicht bereit, eine Entschuldigung gegenüber den Opfern zu erbringen. Man bedauert nur was geschah.[4][5]
Der in die Stiftung geflossene Betrag von Grünenthal wurde ergänzt um Einzahlungen des Bundes, zunächst auch 100 Millionen DM, im Laufe der Jahre weitere 220 Millionen DM, aufsummiert 320 Millionen DM (163,6 Mio. €)[6]. Alle diese Einzahlungen waren im Mai 1997 aufgebraucht. Daraus entwickelte sich ein Streit, in dem die Geschädigten unter Verweis auf die Gewinneinnahmen des Unternehmens Grünenthal und das große private Vermögen der Familie Wirtz eine Neugründung der Stiftung forderten.[7] Heute noch gezahlte Entschädigungen werden komplett von der Bundesrepublik Deutschland bezahlt.
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Contergan-Skandal Dickgedrucktes wurde von mir hervorgehoben.

Und heute? Auch heute scheint sich in Grünenthals Politik nicht viel geändert zu haben. 2009 verklagten sie das Conterganopfer Andreas Meyer, weil er als Mitgründer des Bundes Contergangeschädigter und Grünenthalopfer e.V. (welcher sich für eine gerechte Entschädigung der Conterganopfer einsetzt) seine Mitbürger zu einem freiwilligen Boykott gegen die Dalli-Produkte aufgefordert hatte. Andreas Mayer wurde auf eine einstweilige Verfügung verklagt und sollte ein Ordnungsgeld in Höhe von 250000 Euro oder ersatzweise eine Ordnungshaft absitzen. Zynisch und so wahr, war seine Reaktion:

Zitat: „Ordnungsgeld? Durch Contergan bin ich zeitlebens Sozialhilfeempfänger. Mögen sie meinen Rollstuhl pfänden kommen. 6 Monate Ordnungshaft? Ich habe bereits lebenslänglich durch meinen contergan-entstellten Körper. Wie soll mich dies abschrecken? Die können mir ja noch nicht einmal Handschellen anlegen!“ Quelle: http://www.sternentaler.com/280/gruenthaleigner-familie-wirtz-zerrt-conterganopfer-andreas-meyer-vor-gericht/

Zurück zum Anfang: Götz Werner und der DM Drogeriemarkt

Götz Werner gründete 1973 in Karlsruhe die erste DM Drogerie. Er ist bekennender Anthroposoph, was sich auch in seinem Unternehmen wiederspiegelt. Außerdem fällt er durch sein großes gesellschaftliches Engagement, unter Anderem für das bedingungslose Grundeinkommen, auf. Das sind Gründe weshalb ich bereits auf ihn aufmerksam wurde, bevor ich über ihn, als DM-Gründer, laß. Umso mehr bedauere ich den heutigen Vertrieb von Alverde Naturkosmetik unter der Herstellung der Dalli-Werke. Die Firmenphilosophien könnten unterschiedlicher nicht sein. Alverde war ironischerweise sogar zwei mal für den deutschen Nachhaltigkeitspreis nominiert und gewann diesen 2010.

Weshalb lässt DM trotzdem seine Naturkosmetikmarke bei den Dalli-Werken produzieren?

Die Dalli-Werke sind dafür bekannt seine Naturkosmetik billig herzustellen. Ich denke dies ist für Drogerie- und Lebensmittelketten auch der größte Anreiz hier produzieren zu lassen. Bedeutet natürlich auch, dass der konventionelle Lippenstift für Firma XY mit jeder Menge Paraffin oder Formaldehyd über das gleiche Fließband läuft, wie der Bio-Lippenstift für Naturkosmetikfirma ABC, welcher „bloß“ Bienenwachs enthält. Nun könnte man sich natürlich die Frage stellen, weshalb Dalli es schafft Kosmetik mit Zertifizierung so billig herzustellen. Alverde und auch Alterra tragen zwar das Naturkosmetik-Siegel, erfüllen hierfür aber bloß Mindestandarts. Das wird deutlich, wenn wir die INCI-Liste (die Inhaltsstoffe) einzelner Produkte mit denen teurerer Naturkosmetikmarken vergleichen. So finden wir bei Alverde zum Beispiel einen Bioanteil von 70%, während andere Naturkosmetikmarken im höheren Preissegment einen größeren Bioanteil aufweisen (können). Weitere Unterschiede zeigen sich bei der Auswahl der Inhaltsstoffe. Günstige Naturkosmetik weist oft minderwertigere Bestandteile auf, wie etwa Oliven- oder Sojaöl statt Arganöl, Aprikosenöl und Weitere. Auch die Pressung der Öle bestimmt die Qualität. So ist ein Öl aus zweiter Pressung oder gar eines mit Extraktionsmitteln schlichtweg billiger aber auch minderwertiger, als Öle aus erster Pressung. Und das ist leider nur ein Beispiel. Aber welcher Käufer blickt bei all‘ den Bezeichnungen in Latein auf der Rückseite der Produkte (wenn überhaupt dort vorhanden) schon durch?!
Für Dalli war und ist der Sprung ins Naturkosmetikgeschäft ein gefundenes Fressen, denn ein Drittel aller verkauften Kosmetika in Deutschland sind mittlerweile Naturkosmetik. Der allergrößte Teil darunter bilden Billig-Naturkosmetikmarken wie Alverde und Alterra. Dies beobachten natürlich auch Vorzeige- und Traditionsnaturkosmetikhersteller wie Weleda, Dr. Hauschka und Co. „Naturkosmetik ist weit mehr als ein Mix aus biologisch angebauten Zutaten.„, sagt Frau Maraslis von Weleda.

Wie reagieren die Traditionshersteller von Naturkosmetik auf Dumping-Naturkosmetik aus dem Supermarkt?

Zitat: „Allewissen, dass mehr Anstrengungen in Vermarktung und Kommunikation fließen müssen“, sagt Branchenexpertin Elfriede Dambacher. So sieht sich auch Laverana-Sprecherin Sabine Kästner gefordert, für Dinge zu werben, die sie als „gelebte Selbstverständlichkeiten“ bezeichnet. Zum Beispiel die Tatsache, dass das Unternehmen 200 Inhaltsstoffe selbst herstellt, eigene Extrakte zieht, über 300 Bio-Inhaltsstoffe verwendet und mit ökologischen Anbauprojekten in aller Welt zusammenarbeitet. Inzwischen hat Laverana ein komplettes Rohstofflexikon ins Internet gestellt, das Herkunft und Wirkung jedes Inhaltsstoffes erklärt, und bietet obendrein als Service noch eine Rohstoff-Weltkarte.“ Quelle: http://media.oekotest.de/media/mum082010/mum082010-05.pdf

Die fehlende Transparenz in der Herstellung und Entwicklung der Billigkonkurrenz nahmen Logocos, Laverana, Santaverde, Dr. Hauschka (WALA), Weleda und Primavera zum Anlass 2007 die Interessengemeinschaft NaTrue zu gründen. Ähnlich dem BDIH-Siegel, mit verschärften Mindesanforderungen, will NaTrue qualitativ hochwertige Produkte für potenzielle Kunden sichtbar machen. Mittlerweile ist das Label europaweit etabliert.

Und jetzt? Was sollten wir mit den vielen Informationen anfangen?

Ich bin ehrlich. Das kann ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht für mich klar machen. Dafür muss ich erst noch ein paar Nächte darüber schlafen und nachdenken. Fakt ist: Rossmann schließt Tierversuche für seine Eigenmarken (Rival de Loop, Alterra etc.) nicht aus. DM (P2, Balea, Alverde etc.) aber schon. Alterra und Alverde werden für Rossmann und DM beim gleichen Werk (Dalli) unter der CEP hergestellt. Die Dalli-Werke und auch die dazugehörigen Firmen Mäurer & Wirtz sowie Grünenthal sind nicht tierversuchsfrei. Nach Auskünften (und dies zeigen auch die Zertifizierungslabels) werden in den Werken aber keine Tierversuche für Herstellung und Entwicklung der Marken Alterra und Alverde durchgeführt.

Einige der Umstände waren mir schon zuvor bekannt, aber wenn ich nach meinem Zusammentragen aller Informationen die mir zugänglich waren ein Fazit ziehe… bekommt mir das Gesamtpaket nicht sonderlich gut.
Was fange ich mit diesen Fakten an? Wo ziehe ich für mich die Grenze und will ich überhaupt so genau wissen wer mit wem zusammenhängt und was für Dreck wer am Stecken hat? Oder ist es dafür jetzt sowieso zu spät? Viel wichtiger: Was ist meine persönliche Konsequenz? Und was ist Eure?

Jetzt ist es bereits drei Uhr in der früh. Schlafenszeit.

Teilt mir Eure Gedanken mit. Ich würde mich sehr freuen.

Ergänzung: Mittlerweile habe ich einen zweiten Artikel mit meiner eigenen Konsequenz darüber verfasst.

Edit im Januar 2012: Wieso Rossmann und somit Alterra wieder in der grünen Tierversuchsliste ist.

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